Letzte Woche habe ich anlässlich meiner Cabrio-Tour 2014* einen Stopp bei Sebastiano, genannt „Bustiano“ eingelegt.  Er wohnt idyllisch am Posada-See im Landesinnern, und darum treffe ich ihn eher selten. Die Freude war daher groß, als wir bei ihm aufschlugen. Wie üblich, werden bei dieser Gelegenheit alte Erinnerungen aufgefrischt. Bustiano erinnerte mich an eine fast vergessene Episode. Es lohnt sich, sie zu erzählen; denn erstens ist sie lustig, und zweitens sind unsere Star-Reporter Béla Réthy und Marcel Reif darin verwickelt.

Copyright STAR PRESS
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1990 war das! Lange her, aber wer erinnert sich nicht gern daran: WM in Italien, Endspiel in Rom, Deutschland siegt 1:0 über Argentinien und wird Weltmeister. Béla Réthy und Marcel Reif sind dabei. Gleich danach kommen die beiden mit ihren Familien nach Sardinien, um sich von der stressigen Berichterstattung zu erholen. Auf meine Empfehlung hin hatten sie sich für eine Villa in Baia S´Anna entschieden. Nach ein paar Tagen Strand und Meer wollten die beiden wissen, ob ich nicht eine Idee für ein besonderes Event hätte.

„Wie wäre es mit einem Tag in den Bergen? Klare Bäche, Sandstrand? 100%-ige Einsamkeit, frei von Zeichen jedweder Zivilisation? Natur pur? Baden einmal ganz anders, verbunden mit einer Einladung zum Essen?“ – „So etwas soll es noch geben?“

Ein wenig ungläubig sagten die beiden zu.

Lago di Posada

So landeten wir in den Bergen bei Concas in der Nähe des Lago di Posada. Der wird gespeist von einigen Bächen, die sich durch die Landschaft schlängeln und von Oleander-Urwäldern* umstanden sind. Es bilden sich immer wieder von Sandstrand gesäumte Ufer und glasklare Seen, in denen sich trefflich schwimmen lässt. Nirgendwo eine Spur von Zivilisation, kein Haus, kein Dorf, keine Strommasten, auch keine „Kulturgeräusche“. Nur Natur! Wir erfreuten uns daran, im glasklaren See Wasserschildkröten zu verfolgen, beobachteten den Flug eines Steinadlers und genossen es, den Tag wie Robinson fern jeglicher Zivilisation verbringen zu können. Weil jedoch auch der nicht glücklich gewesen sein wird, ohne dem Magen hin und wieder ein Angebot zu machen, hatte ich meinen Freund Bustiano gebeten, uns auf seinem Anwesen am Posada-See zu bewirten.  An dieses Ereignis erinnerte mich Bustiano, als ich ihn am Vorabend der WM 2014 besuchte und das Thema – natürlich – auf Fußball und die alte Rivalität Deutschland-Italien kam.

lago_posada_strand

Italien war 1990 als Gastgeberland vorzeitig ausgeschieden, und so blieb es der deutschen Nationalmannschaft erspart, gegen „Spaghettanien“ anzutreten. Nur darum, versicherte mir Bustiano, seien wir Weltmeister geworden. Eigentlich hätten wir uns bei Italien bedanken müssen. „Wenn schon bedanken,“ erwiderte ich damals, „dann doch bei den Argentiniern.  Die hätten Italien geschlagen, und man solle doch bitte nicht so tun, als sei die Niederlage ein Geschenk der Italiener an uns gewesen.“

Was gibt es Schöneres als ein Fußballexperten-Stammtisch mit  echten, nicht selbst ernannten  Experten? Bela Rethy und Marcel Reif jedenfalls waren ganz meiner Meinung und vertraten das in durchaus verständlichem Italienisch. Während also die Juli-Sonne die Kehlen ausdörrte, ein Milchlamm und ein Spanferkel am Spieß rotierten, die Mama frische Pasta zubereitete und die Damen sich für Rezepte interessierten, saßen die Männer gemütlich beisammen, um bei hausgemachtem Roten zu fachsimpeln. Unsere Reporter erwiesen sich als ausgemachte Weinkenner. Sie lobten den Tropfen, den sie als „ guten Cannonau“ und „vino di uva“ (Wein aus Weintrauben*) identifizierten.  „Giusto“, bestätigte Bustiano und ließ es sich mit einem schelmischen Blick auf mich nicht nehmen, immer wieder nachzuschenken und unsere Gläser stets gefüllt zu halten.

„Tatsache ist“, provozierte uns Bustiano, „dass Deutschland gegen Italien nicht gewinnen kann.“ Die Reporter wirkten genervt: „Wie oft haben wir das während dieser WM schon hören müssen, und jetzt hier, selbst im hintersten Kaff auf der Insel“,  resignierten die beiden, und um die trockenen Kehlen für die passende Antwort zu ölen, erhoben sie erst einmal das Glas zu Ehren des Schöpfers. Der ließ sich nicht lumpen und holte Zug um Zug Flasche für Flasche hervor.  Bevor das Essen begann, hatte die aus 8 Männern bestehende Runde schon beachtenswert getankt. Das konnte noch lustig werden!

Endlich gab es mit hausgemachter Salsiccia, Oliven und  Fladenbrot das Antipasto, und der Diskurs verlegte sich vorübergehend auf´s Kulinarische. Die beiden Reporter glänzten auch hier als ausgemachte Gourmets und gute Esser. Sie ließen sich eine „römische Portion“* hausgemachter Gnocchetti Sardi* schmecken und widmeten sich anschließend dem Milchlamm*. „Einzigartig“, befanden sie, „fast unmöglich, so etwas irgendwo im Restaurant in dieser Qualität zu bekommen.“ Das knusprige Spanferkel konnte natürlich auch nicht ausgelassen werden, obwohl so langsam die Grenzen der Aufnahmekapazität spürbar wurden. Als Beilage gab es frisches Gemüse aus dem Garten. Fenchel, Radieschen, Staudensellerie und Peperoni. Man tunkt es in ein wenig gesalzenes Olivenöl und isst es roh. Den Abschluss dieses fürstlichen Menüs bildete der berühmte „Casu marzo“*, denn, wie wir wissen, schließt Käse den Magen. Unserer war aber schon mehr als zu!

„Um den Magen zu entlasten“, riet Bustiano mit seinem schelmischen Lächeln, „müsse man mit Grappa nachhelfen.“ Das taten wir, auch wenn unsere Ess- und Trinkversuche dem Alkohol zunehmend Tribut zollen mussten. Auch der obligatorische Espresso konnte daran nichts ändern.

Das eine oder andere Freundschaftsspiel habe man uns gewinnen lassen, nahm Bustiano jetzt den Stammtisch-Streit wieder auf, weil genau das die Fußball-Freundschaft verlange. Aber bei Meisterschaften sei die deutsche Bilanz traurig: Nicht eine einzige Partie zu unseren Gunsten! Dabei seien die Matches der beiden Mannschaften zweifellos die schönsten in der Fußballgeschichte. Das gestrige Endspiel sei doch ein eher trauriges gewesen, nicht zu vergleichen mit dem 3:1 im Jahr 1982 oder dem legendären 4:3 von 1970 in Mexiko.

Mir fiel Widerspruch schwer. Auch die Rede-Giganten Marcel Reif und Bela Rethy gaben auf, weil die bleischweren Zungen nicht mehr so richtig wollten. Weder essen, noch trinken, und schon gar nicht diskutieren. Wir mussten uns Italien ein weiteres Mal geschlagen geben: Bustiano hatte uns, wie man so schön sagt, schlicht unter den Tisch getrunken.

Bustianos Terrasse mit Frau und Sohn

An dieses schöne Treffen erinnerte mich Bustiano heuer und legte wieder die alte Platte von der Unbesiegbarkeit der Azurri auf. Ich höre das, jetzt, zu Beginn dieser WM, von all meinen sardischen Freunden! Wieder und wieder, viel zu oft; denn leider ist da ja etwas dran. Ich werde dann immer ganz kleinlaut und wünsche mir, dass auch bei dieser WM Deutschland nicht gegen Italien antreten muss. Bustiano legt nach: „Erst im Finale treffen Deutschland und Italien aufeinander. Wenn ihr es überhaupt schafft, dorthin zu kommen.“

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Warten wir es daher ab.

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

Anmerkungen des Autors:

*Meine alljährliche Cabrio-Tour hat heuer Italien umrundet: Von Meran nach Blera, Neapel, Pompeji, Reggio Calabria, Taormina, Palermo, Cagliari, Budoni, Bruneck, München. Ausgearbeitet von Hannelore Bode für 3 Paare und 3 Kabriolets.

*Die Oleander an den Bächen im Landesinnern sind von besonderer Schönheit. Ich hätte sie gern fotografiert. Als ich die Stelle jedoch im Juni 2014 aufsuchte, war davon kaum noch etwas zu sehen. Das Jahrtausend-Unwetter von 2013 hat in diesem Tal besonders stark gewütet. Es wird ein paar Jahre dauern, bis sie sich ihr Terrain zurückerobert haben.

*Vino di uva (“Wein aus Weitrauben”) bezeichnet die höchstmögliche Reinheit eines Weines, vergleichbar dem deutschen Reinheitsgebot beim Bierbrauen. Er wird nicht für den Handel produziert und übertrifft an Reinheit Bio-Weine.

*Eine “römische Portion” zeichnet sich durch Menge aus. Römer „fanno una buona forchetta“ (schwingen eine gute Gabel), d.h. sie verdrücken Portionen, vor denen der mittelmeerdiät-gewohnte Mitteleuropäer kapitulieren würde.

*Gnocchetti sardi sind eine sardische Nudelspezialität, nicht zu verwechseln mit Gnocchi, die, häufig aus Kartoffeln  gemacht, der Rezeptur von Knödeln ähnlich sind.

*Ein Milchlamm hat sich bis zur Schlachtung nur von Muttermilch ernährt.

*Casu Marzu ist eine berüchtigte Käsespezialität aus Sardinien, der ich in Kürze ein ganzes Kapitel widmen werde.