Dass ich Sardinienfan wurde, habe ich meiner Leidenschaft für das Wasser zu verdanken. Schon als Gymnasiast zog ich vor der Schule täglich meine tausend Meter Freistil ab. Wann immer sich die Möglichkeit ergab, in ein Gewässer zu springen, konnte ich dem nicht widerstehen. Für die Ferien gab es daher nichts anderes als das Meer. Für einen Wanderurlaub in den Bergen hätte mich niemand begeistern können. Schwimmen und Schnorcheln: Das war meine absolute Lieblingsbeschäftigung!

Eigentlich hatte ich einen ganz normalen Erkundungstauchgang geplant. Etwa fünfzehnhundert Meter vor der Küste hatte ich diese kleine Insel erspäht, die eher ein etwas zu groß geratenes Riff war. Kormorane und Möwen flogen auf als ich mich der Insel näherte, Flossen und Schnorchel aufsetzte und mich rücklings ins Wasser fallen ließ.  Und dann erschrak ich: Keine 3 Meter unter mir war der Boden übersät mit Scherben. Offenkundig hatte ich einen Schiffsfriedhof gefunden. Die Unterwasserlandschaft erklärte auch sogleich den Grund. Der überirdische Teil dieses Riffs maß wohl nur 50 Meter im Durchmesser. Der unterirdische aber erstreckte sich gut 200 Meter in südlicher Richtung, und er reichte auf der gesamten Strecke bis dicht unter die Wasseroberfläche, mal sichere 2 Meter, teilweise aber nur 20 Zentimeter oder noch weniger. Klar, dass diese heimtückische Falle zu Kollisionen führen musste.

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Ich fing an, die Scherben genauer zu betrachten. Sie waren aus Ton, und es waren zweifellos die Scherben antiker Amphoren. Leider konnte ich nur Scherben entdecken. Der Aufprall hatte offenkundig ganze Arbeit geleistet und nichts Unzerstörtes hinterlassen. Oder sollte hier schon vor mir jemand gesucht haben und die unzerstörten Exemplare geborgen haben?

Ich machte mich im nahen Budoni schlau. Vorsichtig, versteht sich, denn wer verrät schon gern den Lageplan seines Schatzes? Die „Isola die Pedrami„, erfuhr ich, sei bekannt für ihre Heimtücke. Das habe erst im letzten Sommer die Küstenwache erfahren müssen, die mit Ihrem 30-Meter-Boot in ganzer Länge aufgeschlitzt worden sei und nur mit großer Not nach Porto Ottiolu geschafft werden konnte. Ich könne mir das ansehen, das Boot läge dort noch auf Reede. Mehr war nicht zu erfahren. Antike Galeeren interessierten anscheinend nicht. Oder, und das wünschte ich mir insgeheim, noch niemand vor mir hatte die Amphoren entdeckt.

Ich begab mich daher auf eine zweite Erkundungstour und nahm mir die Zeit, das gesamte Areal um die Insel zu inspizieren. Die Anzahl und Lage der Amphoren an zwei voneinander entfernten Stellen legten den Schluss nahe, dass es mehr als eine Galeere gewesen sein musste, die hier ihr Grab gefunden hatte.  Allerdings waren an beiden Stellen die Amphoren nicht voneinander unterschieden, so dass die Vermutung begründet war, dass die beiden Unglücksfälle in etwa zeitgleich passiert sein mussten.

Nach wie vor aber: Nur Scherben, nicht eine einzige intakte Amphore. Auch keine Scherben, die es erlaubt hätten, aus den Bruchstücken ein Ganzes zusammen zu setzen. Ich suchte mir aus dem reichlich vorhandenen Material ein Halsstück mit den typischen Henkeln heraus, ein Bodenstück und einige Teile aus dem Bauch. Daraus, hoffte ich, könnte man die Amphore virtuell neu erstehen lassen und Rückschlüsse auf das Alter ziehen.

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Die dritte Tour brachte eine erneute Überraschung: Zwischen zwei Felsen eingeklemmt entdeckte ich einen Anker. Dahinter hatte sich eine wohl eineinhalb Meter lange Muräne eingenistet. Sie kam mit drohend geöffneten Maul aus ihrem Versteck heraus, um mir zu bedeuten, sie ja in Ruhe zu lassen. Muränen sind, wenn man sie nicht in Enge treibt, völlig harmlos. Ich inspizierte daher in respektvoller Entfernung die Höhle, die sich zwischen Anker und Felsen auftat. Der Anker war nicht nur eingeklemmt, sondern auch mit Kalkschichten, die in Jahrtausenden gewachsen waren, mit den Felsen verwachsen. Abgesehen davon, dass er viel zu groß für mein kleines Boot war, würde er sich keinen einzigen Zentimeter bewegen lassen. Ich gönnte der Muräne daher ihr Reich und fuhr nach Budoni zurück. Es hätte mich gereizt, den zweifellos zu den Galeeren gehörenden Anker zu bergen, aber was dann?

Ich hatte mein Revier gefunden! Natürlich ist es nicht vergleichbar mit dem Roten Meer, den Malediven und den anderen Taucherzielen. Wer aber Neues sucht, wird von Sardinien nicht enttäuscht werden. Die Reviere sind anders, nicht so fischreich, auch nicht so farbenprächtig, aber trotzdem reizvoll. Mein Amphoren-Erlebnis gibt einen Vorgeschmack davon; denn was mir schnorchelnd widerfuhr, kann echten Tauchern ebenso begegnen. In der Antike war Sardinien Zankapfel zwischen Karthago und Rom. Es warten noch andere Galeeren auf Entdeckung!

Mein Tipp: Seekarten studieren und auf eigene Faust losziehen. Tauchbasen und –schulen sind zwar hilfreich, oft aber auf „ihr“ Revier festgelegt. Neues ist da eher selten zu finden.

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann