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2014, Oktober: Beim Durchstöbern der sardischen Tageszeitung „La Nuova Sardegna“ bin ich auf einen rekordverdächtigen Fall von Eigeninitiative gestoßen:

Was war passiert?

Unbekannte hatten im Hinterland zwischen Olbia und Arzachena eine Brücke erbaut. Eigentlich nichts Besonderes. Auch bei uns wäre es denkbar, dass z.B. ein Jagdpächter eine kleine Brücke über einen Bach bastelt. Niemand hätte vermutlich dagegen etwas einzuwenden. Hier lag der Fall aber anders. Hier wurde ohne behördlichen Segen ein „Riesen-Rad“ gedreht:

Der Riesenzyklon „Cleopatra“*, verantwortlich für das in Sardinien mit Abstand größte Unwetter aller Zeiten hatte im November 2013 aus dem harmlosen Bächlein „Rio Tolto“ einen reißenden Fluss entstehen lassen. Der wiederum hatte einen Feldweg buchstäblich verschwinden lassen, so dass die Passage durch den Fluss nicht mehr möglich war. Für die sofortige Wiederherstellung hätte die zuständige Behörde sorgen müssen.

Die fühlte sich aber augenscheinlich nicht zuständig. Es passierte nämlich gar nichts! Die Straße durch den Fluss blieb genau so unrepariert wie unpassierbar. Eigentlich ein Versäumnis, für das der verantwortliche Ressortleiter hätte eingebuchtet werden müssen. Aber nichts geschah, rein gar nichts. Das Problem wurde nach Behördenart ausgesessen!

Bis sich brave Bürger kümmerten. Und dann wurde zack-zack gehandelt. Im Hau-Ruck-Verfahren: „Unbekannte“ bauten praktisch über Nacht, heimlich, still und leise und bar jeder Baugenehmigung eine fünfzig Meter lange und sieben Meter breite Betonbrücke durch den Fluss!

So viel uneigennütziger Bürgersinn hätte eigentlich ein Verdienstkreuz erster Klasse verdient. Hilfe zur Selbsthilfe! Man bedenke den Aufwand: 50 Meter mal 7 Meter feinster Beton mit Durchlässen für den Fluss! Was für ein prächtiges Bauwerk, was für Kosten, was für eine Ersparnis für den Staat! Aber: Von Unbekannten unbemerkt und ungenehmigt, an den untätigen Behörden vorbei, ungehindert erbaut!

Soviel „un…“ geht nicht, denn hier ging es um einen Angriff auf das Hoheitsrecht des Staates! Da werden auch verschlafene Beamte hellwach. Mit einem Mal waren sie zuständig. Blitzartig! So entstand quasi über Nacht die Sonderkommission „Pontifex“*. Zur Ermittlung der Täter. Gegen Unbekannt. Tatort Sardinien.

Und die Straße? Die wurde natürlich in einem „Blitz“* beschlagnahmt und für den Verkehr gesperrt. Man darf gespannt sein, wie lange die Blockade gelingt, und mehr noch, wie lange es dauert, bis die überfällige Sanierung erfolgt. Ist das nicht ein widersinniger Wahnsinn?

Ja, natürlich! Und darum bleibt es nicht dabei. Alles kommt, wenn es „auf italienisch“ verläuft,  zu einem guten Schluss:

Ob die Sonderkommision erfolgreich war? Bisher nicht. Will sie erfolgreich sein? Eher auch nicht. Aber irgendwann wird vermutlich die Akte geschlossen, die Brücke geöffnet und der Vorgang versandet. Eine undog-, aber höchst pragmatische Lösung. Typisch für meine sardischen Freunde, und weil es allen Seiten nutzt: Als Blaupause zur Nachahmung empfohlen!

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

* Zyklon Cleopatra wird in Sardinien als Jahrtausend-Unwetter eingestuft. Er sorgte u.a. für schwer vorstellbare Regenmengen: 90 Liter pro Quadratmeter in nur 12 Stunden!

*  „Pontifex“ ist der lateinische Titel für die Päpste. Das bedeutet übersetzt so viel wie „Brückenbauer“, meistens versehen mit dem Zusatz „maximus“, d.h. „größter“. Ob wirklich eine Kommission mit diesem Namen gebildet wurde? – Kann sein, kann auch nicht sein. Die Auflösung bietet mein Beitrag zu journalistischer Sorgfalt.

* „Blitz“ ist eines von wenigen deutschen Wörtern, die es in die italienische Sprache geschafft haben. Abgeleitet von „Blitzkrieg“ bezeichnet ein „Blitz“ den besonders schnellen und effektiven Zugriff von Vertretern der Staatsmacht.