Wer glaubt, Sardinien zöge nur Strandurlauber in seinen Bann, irrt. Ein nennenswerter Teil unserer Gäste betrachtet das Strandleben nur als Vehikel, um den Wandertag „nach getaner Arbeit“ mit einem Bad im Meer ausklingen zu lassen. Tatsächlich ist Sardinien viel zu schön und zu abenteuerlich, um sich einen Abstecher ins Hinterland entgehen zu lassen.

Argument „schön“:
Sardinien hält eine Reihe von Rekorden, die alle mit „Natur“ zu tun haben.

Da gibt es – als eine von vielen – die Grotte von Ispinigoli in der Nähe von Orosei. Sie beherbergt den größten Stalagmiten Europas, der ganz nebenbei auch der weltweit zweitgrößte ist. Er dominiert eine Halle von 50 Meter Deckenhöhe, die sich in alle Himmelsrichtungen verzweigt und noch weitgehend unerforscht ist. Dort steht das prächtige Teil, einem Riesenpenis nicht ganz unähnlich. Kein Wunder, dass sich Sagen und Geschichten um ihn ranken.

Es gab einen Ausgang zum Meer hin, durch das die Phönizier in die Höhle kamen, um hier Rituale zu feiern. Angeblich wurden dabei Jungfrauen geopfert. Nachgewiesen ist allerdings nur, dass die Phönizier die Höhle kannten. Die Mär mit den Jungfrauen, vermute ich, ist überschäumender phallischer Phantasie entsprungen. Sei´s drum: Die Höhle ist für Besucher zugänglich, romantisch ausgeleuchtet und ein echter „Hingucker“.

Wer will, kann sie von Osalla aus erwandern. (Da gibt es ein hübsches Sardafithaus zu mieten.) Nur in dieser Gegend Sardiniens haben es die Nuraghenvölker geschafft, sich vor den Eroberern (Phönizier, Kartharger, Römer, Spanier usw.) in Sicherheit zu bringen.

Ein schönes Beispiel dafür ist im Lanaittu-Tal das Nuraghendorf „Tiscali“*. Es ist so gut wie unauffindbar, und das musste es ja auch sein, sollte es zuverlässige Zuflucht vor Eroberern bieten. Es ist ein lohnenswerter Tagesausflug, von Su Gologone* aus dieses vorchristliche Dorf zu erwandern. Als ich es das erste Mal versuchte, wäre ich daran vorbeigelaufen, hätte mich nicht mein sardischer Freund Zicheddu auf den richtigen Weg zurückgebracht. Man muss wirklich kraxeln und höllisch aufpassen. Verpasst man den engen Schlitz zwischen zwei Felsbrocken, hat man keine Chance, ans Ziel zu gelangen.

Dort allerdings wird man belohnt: 40 Steinhütten in der Doline* boten Rückzugsmöglichkeit für ca. 200 Personen. Landschaftlich höchst beeindruckend, und eine anspruchsvolle Wanderstrecke überdies. Um bei den Superlativen zu bleiben: Ganz in der Nähe kann man „Su Suercone“ besuchen, das ist mit 500 Metern Durchmesser und 200 Meter Tiefe die größte Doline* Europas. Und dann gibt es, immer noch „wandermäßig“ erreichbar, Europas größten Canyon.

Zum „Abrunden“ noch ein anderer Superlativ: Das kleinste Säugetier der Welt kommt aus Sardinien. Es ist eine superwinzige Spitzmaus.

Argument „abenteuerlich“:
Wer in diese Natur abtaucht, erlebt Naturwunder und – abenteuer der besonderen Art. Dass auch die Menschen „abenteuerlich“ sind, habe ich in anderen Kapiteln dieses Blogs erzählt. (Lesen Sie meinen Blog zum Thema „Banditen“)

Wanderer und Walker aufgepasst:
Das Centro Servizi Tartaruga hilft bei der Planung von Wandertouren der verschiedensten Art. Es gibt eintägige Ausflüge, mehrtägige Trekkingtouren und Ausflüge in die Freeclimbing-Hochburgen. Weil wir aber in Sardinien sind, bleibt es nicht beim schnöden Abmühen, sondern es gibt immer auch Angebote für den Magen! Das Centro Servizi Tartaruga hat Anregungen für all jene, die nicht dem Wanderer-Mainstream folgen wollen, sondern abseits der bekannten Routen unterwegs sein wollen. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es nirgendwo verlässlich ausgeschilderte Wanderwege gibt. Wer sich auf die Socken macht, sollte also gutes Kartenmaterial dabei haben oder bereit sein, einen Hirten mit seiner Schafherde nach dem Weg zu fragen. Dass Sie dann unter Umständen weinbeschwingt weiterwandern, ist nicht unwahrscheinlich; denn in den Bergen ist man als Fremder zuerst immer nur Gast und wird bewirtet. Ein Gläschen abzulehnen ist unhöflich. Das ist die antike Tradition sardischer Gastfreundschaft.

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

· Tiscali: Dieser Name ist eher bekannt als der eines Global Players der Telekommunikationsbranche. Beide haben aber miteinander zu tun. Der Gründer des Unternehmens stammt nämlich aus dem nahe gelegenen Dorf Dorgali, kommt aus kleinsten Verhältnissen und hat es als Selfmademan bis zum Präsidenten des Bundeslandes Sardinien gebracht.
· Su Gologone: Hier sind zwei Dinge sehenswert. Einerseits eine – für die nicht gerade wasserreiche Insel – unglaublich große Quelle, und andererseits ein Restaurant von seltener Schönheit mit traditioneller Hirtenküche.
· Doline: Das sind unterirdische Hohlräume, die durch Ausspülung entstehen. Dabei wirkt carbonhaltiges Wasser zersetzend. Es bilden sich unterirdische Hohlräume. Auch Tiscali ist eine Doline. Allerdings ist sie eingebrochen und hat so das perfekte Rückzugsgebiet für all jene geboten, die sich aus irgendwelchen Gründen verstecken mussten. Ganz früher die Nuragher vor den Römern, in neuerer Zeit Banditen vor den Carabinieri.