Kennt ihr der Welt kleinstes Königreich?

„Romkerhall, im Harz“, antwortete mir mein Schwager Elmar gelangweilt. „Wird jedenfalls behauptet. Stimmt aber nicht. Dieses Königreich ist ein Fake, eine Erfindung findiger Kaufleute, ein Werbegag, pure Phantasie und sonst gar nichts. Aber wie ich Dich kenne, willst Du mir bestimmt irgendetwas mit Sardinien unterjubeln.“

Elmar war stolz darauf, in seinem Touristendasein über 100 Länder bereist zu haben, und er hatte dabei ein beachtliches Faktenwissen angehäuft. Es war so gut wie unmöglich, ihn mit erdkundlichen Wissensfragen in Verlegenheit zu bringen. Er war dann auch ganz fix dabei, das Thema zu googeln und präzisierte triumphierend: „Auch in Sardinien gibt es das nicht. Schon seit 150 Jahren nicht mehr!“

Tatsächlich hat das „Königreich Sardinien“ eine lange und bewegte Geschichte. Sie beginnt im Jahre 1239, und – man höre und staune – mit einem deutschen Kaiser als Taufpaten. Diese Rolle übernahm nämlich Friedrich II., Enkel des legendären Barbarossa aus dem Geschlecht der Staufer. Der hatte wie alle gekrönten Häupter damals (und heute?) neben der Angetrauten die eine oder andere Liebschaft. Was uns heute höchst verwerflich erscheint, war damals keineswegs unfein. Es war ganz im Gegenteil völlig in Ordnung. Kaiser durften hemmungslos huren.

Wie dem auch sei: Im pillenlosen Mittelalter blieben derartige Aktivitäten nicht ohne Folgen, und so sahen sich Kaiser und Könige neben legitimen Erben auch von zahlreichen „Bastarden“ umgeben. Denen erging es oft richtig schlecht, weil die Schande der unehelichen Geburt nur die Kindesmütter traf und die Väter, jenseits der heute selbstverständlichen Mitverantwortung, völlig ungeschoren blieben. Gretchens Schicksal im „Faust“ ist ein Beispiel dafür, aber auch die Leidensgeschichte des Kaspar Hauser. Richtig Glück dagegen hatte Heinz (Enzio), der außereheliche Sohn von Friedrich II. Der landete als wohlgelittener Bastard gar einen Sechser mit Zusatzzahl: Sein Vater richtete ihm das Königreich Sardinien ein und krönte ihn im Jahr 1239 zum ersten König.

Dass es danach nicht besonders gut für ihn lief, muss hier nicht weiter ausgeführt werden. (Ist ja auch bei Gewinnern exorbitanter Reichtümer eher die Regel als die Ausnahme.) Jedenfalls war Sardinien von da an Monarchie und blieb es unter wechselnden Dynastien. 1720 gewann Sardinien das Piemont, und als der sardische König Victor Emanuel II. im Jahr 1861 zum ersten italienischen König avancierte, dehnte sich das Königreich Sardinien mit Turin als Hauptstadt über ganz Italien aus! Allerdings hieß es fortan „Königreich Italien“.

„Genau genommen“, resümierte Elmar, „hat dein Königreich Sardinien sogar bis 1946 bestanden. Da wurde der König per Volksentscheid zum Teufel gejagt, weil er mit Mussolini paktiert hatte. Aber du kannst es drehen und wenden wie du willst: Klein war dieses Königreich nie, das kleinste schon gar nicht, und existieren tut es auch nicht mehr! Du musst dir etwas anderes einfallen lassen, wenn du mich auf´s Glatteis führen willst.“

Wir saßen zusammen in Budoni an der Tavernetta. (Das ist mein Lieblingsrestaurant, weil es die besten „moscardini alla diavola“ serviert und überdies unmittelbar am schönsten Teil des Budonistrandes liegt.) Ich zeigte auf ein sich nördlich aus dem Meer erhebendes Felseneiland. Mein Schwager musste auf die Frage passen, ob er die Insel kenne. „Ich bin das erste Mal mit dir hier, da muss ich ja wohl nicht alles kennen“, antwortete er spitz.

„Das ist die Tavolara. Die wird dir schon beim Anflug auf Olbia aufgefallen sein. Sechs Kilometer lang, bis einen Kilometer breit und fast 600 Meter hoch. Bis zum Abzug der Amerikaner vor wenigen Jahren war der größte Teil davon militärisches Sperrgebiet. Niemand weiß so ganz genau, was da passiert. Offiziell ist die Rede davon, dass hier die Nato ein Fernmelde- und Abhörzentrum unterhält. Meine sardischen Freunde hingegen behaupten steif und fest, dass die Insel einen Unterwasserhafen hat. Mitunter sähe man eigentümliche Schiffe, und wenn man sich der Insel auf der Ostseite nähere, würde man von unauffälligen „Fischerbooten“ unmissverständlich aufgefordert, sich vom Acker zu machen.“

Das fand mein Schwager hochinteressant. Seine Neugierde war geweckt und er wollte mehr wissen. „Schon in der Steinzeit haben hier Fischer gelebt. Allerdings ist die Insel so karg, dass hier nur wenige Menschen leben können. Zwanzig sind es heute, und alle stammen von der Familie der Bertoleoni ab. Die wiederum kommen aus Korsika und haben die Insel gegen Ende der Napoleonischen Kriege in Besitz genommen.“

„Genau“, hakte ich ein, „und jetzt kommen wir zum Thema. 1836 besuchte der König von Sardinien die Tavolara, um hier wilde Ziegen zu jagen. Als er das Eiland betrat, erlebte er eine faustdicke Überraschung. Er hatte nicht damit gerechnet, auf dieser unwirtlichen Insel Menschen zu begegnen. Noch weniger hatte er sich ausgemalt, vom Sohn des Bertoleoni so begrüßt zu werden:

„Der König von Tavolara begrüßt den König von Sardinien und wünscht ihm einen angenehmen Aufenthalt in seinem Reich.“ Carlo Alberto imponierte das stolze Auftreten. Spontan schenkte er Bertoleoni die ganze Insel. Weil der aber um die Vergänglichkeit mündlicher Versprechen wusste, ließ er sich das Recht auf sein „Königreich“ verbriefen. Seitdem fügen die Herrscher der Insel, wie es sich für echte Potentaten gehört, ihrem Namen ein „I.“ oder „II.“ hinzu. Auf dem Inselfriedhof kann sich jeder davon überzeugen.“

Das ist der Welt kleinstes Königreich! Kein Fake, kein Werbegag, keine Phantasie!

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

„Romkerhall, im Harz“, antwortete mir mein Schwager Elmar gelangweilt. „Wird jedenfalls behauptet. Stimmt aber nicht. Dieses Königreich ist ein Fake, eine Erfindung findiger Kaufleute, ein Werbegag, pure Phantasie und sonst gar nichts. Aber wie ich Dich kenne, willst Du mir bestimmt irgendetwas mit Sardinien unterjubeln.“ 

Elmar war stolz darauf, in seinem Touristendasein über 100 Länder bereist zu haben, und er hatte dabei ein beachtliches Faktenwissen angehäuft. Es war so gut wie unmöglich, ihn mit erdkundlichen Wissensfragen in Verlegenheit zu bringen. Er war dann auch ganz fix dabei, das Thema zu googeln und präzisierte triumphierend: „Auch in Sardinien gibt es das nicht. Schon seit 150 Jahren nicht mehr!“

Tatsächlich hat das „Königreich Sardinien“ eine lange und bewegte Geschichte. Sie beginnt im Jahre 1239, und – man höre und staune – mit einem deutschen Kaiser als Taufpaten. Diese Rolle übernahm nämlich Friedrich II., Enkel des legendären Barbarossa aus dem Geschlecht der Staufer. Der hatte wie alle gekrönten Häupter damals (und heute?) neben der Angetrauten die eine oder andere Liebschaft. Was uns heute höchst verwerflich erscheint, war damals keineswegs unfein. Es war ganz im Gegenteil völlig in Ordnung. Kaiser durften hemmungslos huren.

Wie dem auch sei: Im pillenlosen Mittelalter blieben derartige Aktivitäten nicht ohne Folgen, und so sahen sich Kaiser und Könige neben legitimen Erben auch von zahlreichen „Bastarden“ umgeben. Denen erging es oft richtig schlecht, weil die Schande der unehelichen Geburt nur die Kindesmütter traf und die Väter, jenseits der heute selbstverständlichen Mitverantwortung, völlig ungeschoren blieben. Gretchens Schicksal im „Faust“ ist ein Beispiel dafür, aber auch die Leidensgeschichte des Kaspar Hauser. Richtig Glück dagegen hatte Heinz (Enzio), der außereheliche Sohn von Friedrich II. Der landete als wohlgelittener Bastard gar einen Sechser mit Zusatzzahl: Sein Vater richtete ihm das Königreich Sardinien ein und krönte ihn im Jahr 1239 zum ersten König.

Dass es danach nicht besonders gut für ihn lief, muss hier nicht weiter ausgeführt werden. (Ist ja auch bei Gewinnern exorbitanter Reichtümer eher die Regel als die Ausnahme.) Jedenfalls war Sardinien von da an Monarchie und blieb es unter wechselnden Dynastien. 1720 gewann Sardinien das Piemont, und als der sardische König Victor Emanuel II. im Jahr 1861 zum ersten italienischen König avancierte, dehnte sich das Königreich Sardinien mit Turin als Hauptstadt über ganz Italien aus! Allerdings hieß es fortan „Königreich Italien“.

„Genau genommen“, resümierte Elmar, „hat dein Königreich Sardinien sogar bis 1946 bestanden. Da wurde der König per Volksentscheid zum Teufel gejagt, weil er mit Mussolini paktiert hatte. Aber du kannst es drehen und wenden wie du willst: Klein war dieses Königreich nie, das kleinste schon gar nicht, und existieren tut es auch nicht mehr! Du musst dir etwas anderes einfallen lassen, wenn du mich auf´s Glatteis führen willst.“

Wir saßen zusammen in Budoni an der Tavernetta. (Das ist mein Lieblingsrestaurant, weil es die besten „moscardini alla diavola“ serviert und überdies unmittelbar am schönsten Teil des Budonistrandes liegt.) Ich zeigte auf ein sich nördlich aus dem Meer erhebendes Felseneiland. Mein Schwager musste auf die Frage passen, ob er die Insel kenne. „Ich bin das erste Mal mit dir hier, da muss ich ja wohl nicht alles kennen“, antwortete er spitz.

„Das ist die Tavolara. Die wird dir schon beim Anflug auf Olbia aufgefallen sein. Sechs Kilometer lang, bis einen Kilometer breit und fast 600 Meter hoch. Bis zum Abzug der Amerikaner vor wenigen Jahren war der größte Teil davon militärisches Sperrgebiet. Niemand weiß so ganz genau, was da passiert. Offiziell ist die Rede davon, dass hier die Nato ein Fernmelde- und Abhörzentrum unterhält. Meine sardischen Freunde hingegen behaupten steif und fest, dass die Insel einen Unterwasserhafen hat. Mitunter sähe man eigentümliche Schiffe, und wenn man sich der Insel auf der Ostseite nähere, würde man von unauffälligen „Fischerbooten“ unmissverständlich aufgefordert, sich vom Acker zu machen.“

Das fand mein Schwager hochinteressant. Seine Neugierde war geweckt und er wollte mehr wissen. „Schon in der Steinzeit haben hier Fischer gelebt. Allerdings ist die Insel so karg, dass hier nur wenige Menschen leben können. Zwanzig sind es heute, und alle stammen von der Familie der Bertoleoni ab. Die wiederum kommen aus Korsika und haben die Insel gegen Ende der Napoleonischen Kriege in Besitz genommen.“

„Genau“, hakte ich ein, „und jetzt kommen wir zum Thema. 1836 besuchte der König von Sardinien die Tavolara, um hier wilde Ziegen zu jagen. Als er das Eiland betrat, erlebte er eine faustdicke Überraschung. Er hatte nicht damit gerechnet, auf dieser unwirtlichen Insel Menschen zu begegnen. Noch weniger hatte er sich ausgemalt, vom Sohn des Bertoleoni so begrüßt zu werden:

„Der König von Tavolara begrüßt den König von Sardinien und wünscht ihm einen angenehmen Aufenthalt in seinem Reich.“ Carlo Alberto imponierte das stolze Auftreten. Spontan schenkte er Bertoleoni die ganze Insel. Weil der aber um die Vergänglichkeit mündlicher Versprechen wusste, ließ er sich das Recht auf sein „Königreich“ verbriefen. Seitdem fügen die Herrscher der Insel, wie es sich für echte Potentaten gehört, ihrem Namen ein „I.“ oder „II.“ hinzu. Auf dem Inselfriedhof kann sich jeder davon überzeugen.“

Das ist der Welt kleinstes Königreich! Kein Fake, kein Werbegag, keine Phantasie!

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann