Es gibt sie, diese geheimen Orte, weil findige Zeitgenossen den antiken Quellen glauben und es sich zur Lebensaufgabe machen, Mythen zu entschleiern. Meistens werden sie nicht ernst genommen und belächelt. Aber dann findet Schliemann Troja, Carter das Grab des Tutanchamun und die Welt staunt. Die antiken Geschichtsschreiber hatten also doch Recht! Und jetzt Atlantis. Platon berichtet davon. Also muss es auch dieses versunkene Inselreich geben. Irgendwo. Sergio Frau weiß auch wo und hat darüber eine Abhandlung verfasst.

Vorab: Sergio Frau ist Sarde, Journalist, Hobbyarchäologe und Campanilista. (Was das ist, erschließt sich selbsterklärend zum Ende des Artikels.)

Beim Studium jüngster Luftaufnahmen aus dem Weltall ist ihm aufgefallen, dass seine Heimat Sardinien erstaunliche Ähnlichkeiten mit Platons Beschreibung von Atlantis aufweist. Das Land, so Platon, sei reich an Wasser und Wäldern. Das Klima sei so mild, dass die Bewohner der mythischen Inseln gleich mehrmals im Jahr ernten konnten.

Hier hakt Frau ein. Das allein, räumt er ein, sei zwar kein zwingendes Indiz, aber hinzu käme, dass Platon die Einwohner des sagenhaften Atlantis als „Turmbauer“ bezeichne.

Genau das, trumpft er auf, sei der Casus Knaxus! Wo sonst, argumentiert er, gab es ein Inselreich, das von „Turmbauern“ bewohnt worden sei?

Er hat Recht: Tatsächlich trifft das exakt auf Sardinien zu. Die über die ganze Insel verstreuten Nuraghen erfüllen alle Kriterien für ein „Turm“ zu nennendes Bauwerk! Wenn es also, folgert er weiter, nirgendwo sonst im Mittelmeerraum unter oder über Wasser Landschaften mit Türmen gibt, dann sprechen alle Indizien für Sardinien als Heimat für Platons Atlantis.

Aber, fragen wir zweifelnd, berichtet der Philosoph doch auch, dass Atlantis von einer monstruösen Flutwelle verschlungen wurde. Wie passt das zur Theorie? Sergio Frau hat kein Problem mit diesem Einwand. Er bemüht erneut die Nuraghen und erläutert am Beispiel von Barumini: In der Nähe dieser Stadt wurde die wohl größte und schönste Nuraghe ausgegraben. Was habe man tun müssen, um sie ans Licht zu holen? Buddeln habe man müssen, eine zwölf Meter hohe Schlammschicht habe das Bauwerk bedeckt. Noch Fragen? Luftaufnahmen, trumpft er jetzt richtig auf,  hätten gezeigt, dass die meisten Nuraghen der Insel in grauer Vorzeit mit Schlamm überflutet worden waren. Wie erklärt man das, wenn nicht mit der von Platon überlieferten Flutwelle?

Für Frau ist damit die Sache klar: Atlantis und Sardinien sind zwei Seiten einer Medaille. Andere Einwände bürstet er ab, wie der nachfolgende Dialog beispielhaft belegt:

„Nach Platon, werter Herr Frau,  hat es die Flutwelle vor 9000 Jahren gegeben, und da hat Sardinien noch in einem kultur- und zivilisationsfreien Dämmerschlaf gelegen. Wie kann da Atlantis nach Sardinien verschoben werden?“
„Völlig richtig: Vor 9000 Jahren hat es nirgendwo im Mittelmeerraum Zivilisation gegeben. Da die Flutwelle aber Bauwerke überschwemmt hat, müssen die 9000 Jahre anders verstanden werden. Als Monate etwa. Wir wissen ja, dass Zeitangaben bei den Antiken oft unscharf sind. Es bleibt dabei: Atlantis ist Sardinien. Punkt.“

In seinem Buch „Atlantika“ hat er recht reißerisch nach Art des Erfolgsautors Erich von Däniken alle Argumente „pro“ publikumswirksam entfaltet. Ob ihm auch eine treue Anhängerschaft zuwachsen und Millionenauflagen bescheren wird? Man wird sehen.

Als Sarde und Lokalpatriot wird ihm das wenig bedeuten. Ihm geht es um seine Insel. Das gefällt mir. Nur das.

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

PS: Die Fotos zeigen verschiedene Nuraghen u.a. die von Orolio, welche besonders typisch ist.