Dieses Foto entstand am 1. Mai. Woran denken Sie? An eine Demo? Etwa für die Frauenquote in Großbetrieben, oder die Befreiung der Frauen aus archaischer Männerherrschaft?  Oder schlicht nur Feministinnen unter sich?

Nichts von alledem. Da Großbetriebe in Sardinien Mangelware sind, könnte man infrage kommende Quotenfrauen an einer Hand abzählen.

Überdies sind Sardinnen stolz und selbstbewusst. Eine Quote empfänden sie als Beleidigung, weil sie im archaischen Rollenspiel schon immer die Chefrolle in der Familie auszufüllen hatten. Während der Mann monatelang mit seinen Schafen Berge und Täler durchquerte, um Käse zu produzieren, waren es die Ehefrauen und Mütter, die – unseren Trümmerfrauen gleich – die Hosen anhatten und das Leben bzw. Überleben der Familie managten.

Sicher: Italien hatte auf dem Festland schon immer eine sehr starke Frauenbewegung. Auf Sardinien aber kam die nie so richtig in die Strümpfe.

Wofür also demonstriert man am 1. Mai? Wer gibt auf Sardinien dem Tag der Arbeit seine revolutionäre Berechtigung?

Die Frauen nicht. Also die Männer? – Nein! Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

Schafe sind’s! Diese oft verachteten Tiere lehren uns, wie man nicht mit kämpferischen Reden, sondern real agierend der Unterdrückung und Ausbeutung trotzt. So geschehen in Cagliari, Sardinien.

Eine Herde hat den Anfang gemacht und ist unter lautem Gemeckere in die Hauptstadt eingefallen. Die „befreiten“ Tiere haben beim Marsch auf Cagliari zunächst das frische Gras auf den Böschungen der Einfallstraßen abgeweidet. Dann kamen die Kreisel dran. Auch sie wurden abgefuttert, und weil sich ihnen niemand entgegenstellte, rückten sie immer weiter vor und standen bald in der Innenstadt. Dort machten sie sich über den gepflegten Park her, der das Krankenhaus „Ospedale Brotzu“ ziert.

Ohne Rücksicht auf Verluste belagerten sie tagelang die Schnellstraßen, rotteten sich auf Kreuzungen zusammen und demonstrierten so ihr Elend, lautstark krakeelend und Köttel kackend.

Die Stadtväter Cagliaris standen vor einem Problem. Auf Demos waren sie schon immer gut vorbereitet. Schließlich hat auch Sardinien linke Parteien, die auf Protestmärschen gern schon einmal lautstark auf ihre Unzufriedenheiten mit den real existierenden Verhältnissen hinweisen. Damit hätten sie umzugehen gewusst. Auch für die Fan-Szene des Fußballvereins US Cagliari hätte man die passenden Rezepte aus der Schreibtischschublade ziehen können. Diese Hooligans aber waren ein ganz anderes Kaliber. Wie wehrt man sich gegen eine Horde randalierender Schafe?

Eilig wurde versucht, den Herrn der Herde ausfindig zu machen. Aber weder der Himmlische Hirte noch ein irdischer Schäfer wollte sich angesichts der zu erwartenden Regresse zu den Tieren bekennen.

Schließlich nahm sich Paolo Truzzu der Sache an. Der ist kein geringerer als Abgeordneter des Regionalparlaments und damit ein Onorevole, ein „Ehrenwerter“, was bei uns einem honorigen Landtagsabgeordneten entspricht.

Der fotografierte die einträchtig grasenden Tiere und drohte mit einer parlamentarischen Anfrage, in der er das sofortige Eingreifen des Gesundheitsamtes verlangen werde. Die Tiere seien – besonders vor einem Krankenhaus – ein gewaltiges, gefährliches Gesundheitsrisiko, und es sei ein Skandal, dass niemand die Schafe daran hindere, den Patienten das Grün aufzuessen. Unerhört! Wer verantwortlich für die Gesundheit der Patienten sei, dürfe so etwas nicht tolerieren.

Damit war immerhin, ohne einen Namen zu nennen, der für das Debakel Zuständige gefunden. Ich gehe davon aus, dass der Ehrenwerte Truzzu, wenn er denn im stillen Kämmerlein oder in der Fraktion seine Anklage ausformuliert, nicht davor zurückschreckt, Ross und Reiter zu nennen.

Bis es dazu kommt, können die Schafe weiter den Aufstand proben und ihre Freiheit genießen. Fraglich ist natürlich, ob der Leithammel der Herde Ross und Reiter als Gesprächspartner anerkennen wird. In diesem Fall bleibt den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als einen Sündenbock vorzuschicken.

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

All das habe ich mir nicht ausgedacht. Es ist bis zum letzten Jota so passiert. Hier der Presseartikel dazu: