Schildkröten auf Sardinien

Wer im Sommer durch Sardinien tourt, sollte sich auf mancherlei tierische Überraschungen gefasst machen. So kann es passieren, dass eine friedlich ruhende Kuh den Weg versperrt, eine Rotte Wildschweine, unbeeindruckt von Ihrer Gegenwart, am Wegesrand nach Essbarem sucht, oder  dass eine dicke Schildkröte den heißen Asphalt zum Aufwärmen benutzt. In dem Fall können Sie sich glücklich schätzen, denn die Schildkröten auf Sardinien sind wirklich sehenswert.

Sardinien - Ein Schildkröten-Superlativ

Die Insel ist ein Naturparadies mit vielen seltenen Pflanzen und Tieren. Besonders haben es mir die Schildkröten angetan, und das mag daran liegen, dass ich bei meiner ersten Schildkröten-Begegnung auf Sardinien mit einem echten Prachtexemplar Bekanntschaft gemacht hatte. Natürlich habe ich sie spontan von der Straße getragen, weil ich befürchtete, irgendein Brummi könnte sie überfahren.  Ab diesem Zeitpunkt war Neugierde entfacht: Wie kommen Schildkröten auf diese Insel, und dann noch so große? Sardinien ist doch kein Ableger der Galapagos-Inseln! Ich begann zu recherchieren und stieß auf einen weiteren Sardinien-Superlativ.

Vier Schildkrötenarten gibt es auf Sardinien, mehr als irgendwo sonst in Europa. Es sind die

  • Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni)
  • Breitrandschildkröte (Testudo marginata)
  • Maurische Landschildkröte (Testudo graeca)
  • Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis capolongoi)

 

Mein persönliches Schildkröten-Maskottchen

Ich will mich an dieser Stelle nicht als Biologe versuchen. Mir gefallen diese evolutionär überaus erfolgreichen Tiere einfach, weil sie ihr Haus ständig mit sich herumschleppen und immer dort heimisch sind, wo sie gerade rasten. Ist es nicht eine schöne Vorstellung, überall zu Hause zu sein? So kam ich auf die Idee,  die Schildkröte zum Maskottchen der Sardafit-Ferienhäuser zu machen.

Bald darauf sollte ich meine ganz persönlichen, lebendigen Schildkröten-Maskottchen mein eigen nennen. Mein Freund Pino überreichte mir eines Tages freudestrahlend ein Schildkröten-Pärchen. Als Lebensraum für die beiden hatte er meinen Garten auserkoren. Mir war das eigentlich gar nicht recht, aber was sollte ich machen? Tino wäre tödlich gekränkt gewesen, hätte ich sein großherziges Geschenk nicht angenommen. Ich bedankte mich also überschwänglich, beschloss aber für mich, die Schildkröten für eine Zeitlang nach Kräften zu verwöhnen und sie dann heimlich, still und leise in die Freiheit zu entlassen. Wenn mich Pino nach ihrem Verbleib fragen würde: Was konnte ich dafür, wenn der Freiheitsdrang der gepanzerten Reptilien so groß war, dass er alle Mauern sprengte bzw. überwinden ließ?

 

Auswilderung bei Vollmond

Nachdem sechs Wochen ins Land gegangen war, schritt ich zur Tat. Ich schnappte meine beiden Schützlinge in einer sternklaren Vollmondnacht und wilderte sie aus, indem ich sie über die mein Grundstück umgebende Feldsteinmauer hob und ihnen alles Gute wünschte. Danach legte ich mich mit der Gewissheit schlafen, ein guter Naturfreund  und ein echter Schildkrötenversteher zu sein. Die Rückgeführten genossen ganz augenscheinlich ihre Freiheit; denn sie blieben verschwunden. Oder so schien es mir.

Nach ein paar Tagen, es mochten fünf gewesen sein, entdeckte ich das Männchen. Es war wieder in meinem Garten. Na ja, dachte ich, dich wird jemand gefunden und zurückgebracht haben. Es vergingen weitere zwei Tage, da war auch das Weibchen wieder da. Die treue Seele!  Ich konnte mir eine gewisse Rührung nicht verkneifen. Um mir einen Reim auf die wundersame Rückkehr zu machen, fragte ich in der Nachbarschaft, ob vielleicht irgendwer…?  – Nein! Niemand wollte die beiden auch nur gesehen haben.Wenn also die Rückkehr ohne menschliche Hilfe erfolgt war, schloss ich messerscharf, hatte ich unzureichend ausgewildert. Ich schnappte mir also die beiden Ausreißer und brachte sie weiter weg, bis an die Ortsgrenze von Luttuni. Hier gibt es keine Oliven- und Orangenhaine mehr, sondern nur noch Wildnis und Macchia. Vielleicht würden sie sich hier in ihrem eigentlichen Habitat nicht mehr zurück in meinen Garten sehnen …

Meine sardischen Schildkröten – ein Abschied für immer?

Der Zeitpunkt war gut gewählt; denn ich musste am nächsten Tag zurück nach Deutschland. Als ich Monate später wieder nach Sardinien kam, hatte ich die beiden Schildkröten nicht mehr „auf dem Schirm“. Umso überraschter war ich, als ich Tage später  von charakteristischen, lauten Geräuschen aus dem Schlaf gerissen wurde. „Wildschweine“, dachte ich, „die wühlen meinen Garten durch!“ Ich bewaffnete mich mit einem Knüppel, um die Eindringlinge zu verscheuchen. Als ich die Tür öffnete und hinaustrat, war zu meiner Überraschung weit und breit keine Sau zu sehen. Wohl aber zwei sardische Schildkröten, die sich lautstark einer nicht jugendfreien Tätigkeit widmeten. Meine Schildkröten! Sie waren ein zweites Mal heimgekehrt, allen Widrigkeiten zum Trotz!

Ich beschloss, den Schildkröten lebenslanges Wohnrecht auf meinem Grundstück in Sardinien zu gewähren und taufte sie Ugo Tartarugo und Tina Tartarina.* Sie bedankten sich auf ihre Weise: Etwa zwei Monate nach der wilden Hochzeitsnacht krabbelten acht Schildkrötenbabys von der Größe eines Zwei-Euro-Stückes im Garten umher! Ich widerstand den Bitten einiger Ferienhausgäste, die eines der süßen Babys gern mit nach Deutschland genommen hätten. Das, so erklärte ich Ihnen, ist aus Gründen des Artenschutzes streng verboten und kann empfindliche Strafen nach sich ziehen. Außerdem seien es eingeborene  Schildkröten aus Sardinien und die wären in ihrer Heimat sicher glücklicher als in einem deutschen Terrarium.

Später wilderte ich die Nachkommenschaft aus. Erfolgreich! Und so geht das seitdem mit schöner Regelmäßigkeit, Jahr für Jahr. Dank meinem Freund Pino  bin ich, wenn auch zunächst unfreiwillig, sozusagen zum Leiter eines Schildkröten-Nachzuchtprogramms geworden.

 

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

 

*Ugo Tartarugo und Tina Tartarina gibt es auf unserer Homepage in vielerlei Varianten. Der Nachname ist eine Ableitung von ital. „tartaruga“ für „Schildkröte“.