Mir gefällt es, in den Ferien Leute kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Darum ist die „Fewo“ die von mir bevorzugte Unterkunft. Allerdings, das muss ich einräumen, hatte ich nicht immer so gedacht. Ich war und bin nämlich eingefleischter Individualist und von daher dem Einzelhaus zugeneigt. Mir geht es da wie den meisten unserer Gäste, die sich in der Beratung mit mir immer wieder so oder so ähnlich äußern: „Was mir wichtig ist? Ein Haus für mich allein! Keine nervigen Nachbarn, darum bitte keine Wohnung! Na klar, Strand, Restaurants und der tägliche Einkauf sollen zu Fuß erreichbar sein. Ach ja, und für die Kinder bitte Unterhaltung bzw. Spielkameraden in der Nähe!“

Mit genau diesem Wunsch im Hinterkopf landete ich irgendwann im August der frühen siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Olbia. Den Norden der Insel kannte ich schon. In Cannigione hatte ich Wohnwagenurlaub gemacht und festgestellt, dass Camping auf Sardinien ein teures Vergnügen ist. Für das gleiche Geld konnte man auch ein Ferienhaus buchen. Außerdem war die Anreise bequemer. Also ersparte ich mir den Wohnwagenstress und bummelte südwärts, um meinen Traum vom Ferienhaus zu realisieren.

Das war aber gar nicht so einfach. Im Gegenteil: Was wir begutachteten, passte – wie es oft ist – weder zu unserem Geldbeutel oder zu unseren Vorstellungen. Wir suchten und suchten. Gen Abend wurde es eng. Die Suche hatte uns mittlerweile sechzig Kilometer südwärts gebracht und es begann zu dämmern. So kamen wir nach Budoni, um in der „Stella Marina“ einen weiteren Versuch zu starten. Die Bar war rappeldicke voll. Wirt und Gäste merkten sehr schnell, dass es ein Ausländer war, der hier grußlos hereingestürmt kam und nach einer „Casa“ fragte.

„Per il primo: Buona sera“, beantwortete der Wirt meine Frage betont bedächtig. Salvatore heiße er und fügte lächelnd hinzu, ich solle doch bitteschön das Zweite nicht vor dem Ersten tun. Danach schob er mir ein Glas Wein hin, hieß mich willkommen und begann das typisch sardische Kennenlern-Gespräch. Mir war es recht, die nervige Quartiersuche einen Moment vergessen zu können. Ich stand bereitwillig Rede und Antwort, und so überholte ein Glas das nächste. Erst als meine im Auto wartende – damalige – Frau entnervt in die Bar stürzte und mich an den Zweck meines Besuches erinnerte, holte mich der Stress wieder ein. Die Runde beruhigte uns, mit Geduld lasse sich alles lösen, und so verstrich die Zeit nach sardischer Gepflogenheit weiter bei Geschwätz und Geschichten. Eile mit Weile eben! Irgendwann erinnerten wir uns wieder: Wir waren noch immer obdachlos! Allerdings waren wir mittlerweile der nervigen Suche dergestalt überdrüssig, dass wir wie einstmals Joseph und Maria als Herberge auch mit einem Stall vorliebgenommen hätten. Als uns Salvatore dann spät am Abend seine „Casa“ vorstellte, fühlten wir uns tatsächlich an das Weihnachtsszenario in Bethlehem erinnert. Zum Glück aber war keiner von uns in „anderen Umständen“, und so verbrachten wir in unserer Hütte eine relativ ruhige Nacht. Zwar mit blökenden Schafen, aber ohne Halleluja, Engel und die berühmten Heiligen Drei Könige.

Aus der Traum vom günstigen Einfamilienhaus am Meer! Meine Frau machte mir bittere Vorwürfe, nicht im Voraus gesucht und gebucht zu haben, aber es half nichts: Unsere Bleibe war eine schlichte, schmucklose Wohnung, die in nichts dem entsprach, was wir uns ausgemalt hatten. Allerdings war sie keine hundert Meter vom Meer entfernt, und das war der Grund, warum wir erst einmal blieben. Ich vermute, dass auch die sympathischen Sarden vom Vorabend die Entscheidung beflügelt hatten, aber das war mir damals nicht bewusst.

Nachdem wir uns vom ersten Kulturschock erholt hatten, inspizierten wir am nächsten Tag die Location. Die „Stella Marina“ lag an einem einzigartig schönen Sandstrand, bestand aus der besagten Bar, einem Restaurant und angegliederten zehn Appartements. Keines von denen war besser als das unsere, aber alle waren sie bewohnt, und die Mieter, alles Sarden, schienen glücklich und zufrieden damit zu sein.

Den „Tedesco“ mit seiner „Biondina“ hatten sie, wie mir schien, ganz besonders ins Herz geschlossen. So jedenfalls erklärte ich mir die ungewöhnlich freundliche Aufnahme. Heute weiß ich, dass wir landestypisch empfangen worden waren. Dazu muss man wissen, dass ein Fremder in Sardinien Gastrecht genießt und besonders freundlich behandelt wird. Sardische Gastfreundschaft ist im doppelten Sinn des Wortes „unbeschreiblich“. Hier hatte ich das zum ersten Mal erfahren.

Zwei Tage später lud uns die Mama von nebenan zum Essen ein, obwohl sich nicht nur Ehemann und drei Kinder um den Tisch scharten, sondern auch Schwager und Schwägerin nebst Oma zu Besuch gekommen waren. Göttlich, was da aufgetischt wurde, herrlich unkompliziert, laut und lustig aber auch das Tischgespräch! Anders als bei uns war da für Ängste, Sorgen und Nöte kein Raum, obwohl, da war ich mir sicher, diese Familie nicht in besseren Verhältnissen leben konnte als eine vergleichbare Familie in Mitteleuropa.

Am nächsten Tag lud mich der Schwager zu einem Bootsausflug ein. Das gefiel mir, und als wir Schorcheln als gemeinsames Hobby erkannten, war die Sache perfekt: Es verging kein Tag, an dem wir nicht stundenlang auf- und abtauchten. Wir wurden dicke Freunde und fischten für die Großfamilie in der Stella Marina manches marinare Menü zusammen. Dabei kam uns zugute, dass „Barore“ die Fischgründe aus dem Effeff kannte, ich hingegen die Puste hatte, auch tief gelegene Gründe erreichen zu können.

Dieses Hobby habe ich schon seit langer Zeit aufgegeben. Damals aber war das der Schlüssel für erfüllte Ferien und ich beschloss, Budoni zu meinem Dauerziel zu machen. Im Folgejahr verzichtete ich auf die Suche nach meiner Einzelvilla. Die spartanische Wohnung in der Stella Marina war vollkommen genug. Wir hatten ja das Meer direkt vor der Tür, und was noch wichtiger war: Wir hatten nette Nachbarn!

Erinnern Sie sich daher, wenn Sie Urlaub planen: Grau, teurer Freund ist alle Theorie, und grün der Fewos goldner Baum! (Frei nach Goethe)

Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute

Joachim Waßmann

Sie wenden ein, mein Erlebnis sei ein Einzel- bzw. Glücksfall? Das stimmt, weil nicht jeder das Glück hat, in eine solche Gesellschaft „hineinzustolpern“. Gute Erfahrung mit Nachbarn hingegen sind bei unseren Gästen eher die Regel. Das zeigen die Berichte, die ich im Lauf der Jahre erhalten habe. Vielen ergeht es so wie mir einige Jahre später: Da war ich mit Kind und Kegel unterwegs und hatte in diesem Haus deutsche Nachbarn kennengelernt. Natürlich war das anders als mit „meinen“ Sarden, aber trotzdem war es so beglückend, dass wir uns verabredeten, im Folgejahr wieder gemeinsam Ferien zu machen.