Nicht von dieser Welt: Das Brunnenheiligtum von Santa Cristina

Der Frühling ist die schönste Jahreszeit, um einen der seltsamsten und geheimnisvollsten Orte von Sardinien zu besuchen: das Brunnenheiligtum von Santa Cristina. Jetzt blüht und grünt es in den umgebenden Olivenhainen, und mit etwas Glück ist man alleine dort und kann diese magische Umgebung ungestört auf sich wirken lassen. Nein, dies ist kein Ufo-Landeplatz und es waren keine Außerirdischen, die dieses dreieckige Loch in die knorrige sardische Landschaft hineingebaut haben.

Woher kommt das Brunnenheiligtum von Santa Cristina?

Die Realität ist jedoch nicht minder erstaunlich: Angehörige der bronzezeitlichen Nuraghenkultur haben vor etwa 3.000 Jahren präzise Quader aus dem Basaltgestein der Umgebung gehauen und in einer ingenieurtechnischen Meisterleistung dieses Heiligtum erbaut.

Kulte um Quellen oder Brunnen gehören sicherlich zu den ältesten religiösen Praktiken der Menschheit und sind in vielen Kulturen verbreitet. Allein in Sardinien sind bis heute etwa 40 bronzezeitliche Brunnenheiligtümer bekannt. Am eindrucksvollsten und am besten erhalten ist jedoch das Heiligtum von Santa Cristina. Der moderne Name verweist darauf, dass auch spätere Kulturen diesen Ort als Kultstätte ihrer jeweiligen Religionen genutzt haben. Bei Ausgrabungen fand man punische Räuchergefäße. Im frühen Mittelalter siedelten sich hier Einsiedlermönche des Kamaldulenser-Ordens an; aus dieser Zeit stammt auch die Wallfahrtskirche Santa Cristina, die dem Ort seinen heutigen Namen gab.

Welche Bedeutung hat das Brunnenheiligtum?

Über die ursprüngliche Bedeutung des Brunnenheiligtums von Santa Cristina kann man nur spekulieren; es wird vermutet, dass es sich hier um eine der “Mutter Erde” geweihte Kultstätte handelte. Über Stufen gelangt man hinab in das Allerheiligste, sozusagen den Schoß der Erdgöttin. Über dem Wasserbecken befindet sich eine Pseudokuppel (bestehend aus konzentrisch aufgemauerten Steinringen), wie man sie auch von den Nuraghen kennt.

Durch das Loch in der Mitte der Kuppel fällt alle 18 Jahre und 6 Monate das Licht des Mondes. Über die Zugangstreppe bescheinen zweimal jährlich, zur Tagundnachtgleiche im Frühjahr und Herbst, die Strahlender Sonne das Wasser.

Die Erbauer des Heiligtums waren also nicht nur außerordentlich geschickte Steinmetze und Bauingenieure, sondern auch vertraut mit den Gesetzen der Astronomie, die zweifellos eine prominente Rolle in der Religion der Nuragher spielten. Auch wenn es also keine Aliens waren, denen wir dieses Bauwerk zu verdanken haben, so hat das Heiligtum von Santa Cristina doch einen Bezug zum Weltall. Und jeder, der diesen besonderen Ort einmal besucht hat, wird bestätigen können: Es ist dort überirdisch schön!

Mit einem sardischen „Adiosu“ verabschiedet sich für heute

Ihr Joachim Waßmann

 

Bilder: Carlo Perlagalli, Pozzo sacro di Santa Cristina, l’ingresso via Wikimedia Commons; Der Eingang zum Brunnenheiligtum, Cmussel , via Wikimedia Commons; Santa Cristina Pozzo Sacro Sezione mediana, Aga Khan (IT) via Wikimedia Commons; Pozzo di Santa Cristina, la Sorgente, Carlo Pelagalli via Wikimedia Commons, Pozzo sacro di Santa Cristina, dal fondo del pozzo, Carlo Pelagalli “ via Wikimedia Commons